Zu Besuch bei Tobehn

Vorstellung und Verwirklichung

Im Zentrum von Sankt Gallen, inmitten der jahrhundertealten Häuser mit den charakteristischen mittelalterlichen Erkern und der weltberühmten Bibliothek von 1758, wähnt man sich in längst vergangene Zeiten zurückversetzt. Die Zeit scheint still zu stehen, wie auch die Entwicklungen in der Klaviermechanik, die schon seit einem Jahrhundert in tiefer Ruhe liegen. Ausgerechnet in diesem vergangenheitsträchtigen Sankt Gallen wird bei Klaviertechnik Tobehn hart daran gearbeitet, diesem Stillstand ein Ende zu setzen.
PIANIST hat sich für Sie auf Entdeckertour begeben.

Edgar Tobehn ist Klavierbaumeister. Auch war er lange als Konzerttechniker tätig, arbeitete unter anderen für Martha Argerich und Mikhail Pletnev, „eine sehr interessante, aber auch stressige Zeit“. Er fühlt sich in der Werkstatt wohler, wo er heute gemeinsam mit seiner Frau und den beiden Söhnen Christoph (der auch das Konstruktionszeichnen beherrscht) und Tobias an der radikalen Verbesserung der Klaviermechanik arbeitet.

Echo

Tobehn freut sich über die zahlreichen und ausnahmslos sehr positiven Rückmeldungen, auch wenn die Skepsis am Anfang groß war, denn schon viele vor ihm haben versucht, die Mechanik des Klaviers zu verbessern. Die Befunde von Pianisten reichen von „Spielt sich sehr unkompliziert und präzise, viel gleichmäßiger und berechenbarer“, über „Man kann die Saite regelrecht streicheln im Pianissimo“ und „‚Ein sehr wirkungsvolles dynamisches Spielen ist möglich“ bis hin zu eher allgemeinen Eindrücken wie „Ich kann damit technisch sehr schwierige Passagen, die auf einem Flügel nur mit hoher Konzentration möglich sind, problemlos spielen“‚ „Dank der hohen Präzision fühle ich mich sehr sicher beim Spielen“ und „Die Technik ermöglicht mir alles, was ich möchte“. Aus all diesen Kommentaren holt Tobehn das Beste heraus: „Jeder empfindet etwas anderes, wir versuchen, daraus Rückschlüsse zu ziehen, sodass wir immer weiter optimieren können.“

Passion

Seit 20 Jahren ist es seine Passion, die Mechanik radikal zu erneuern. Kurz gesagt, nicht nur zu versuchen, ihre Schwachpunkte zu verbessern, sondern sie durch bessere Lösungen zu ersetzen: „Durch die neue Konstruktion, bei der die Stoßzunge fortwährend mit der Hammernuss verbunden ist und während des Anschlags auch bleibt, kann zu jeder Zeit und bei jeder Tastenstellung neu angeschlagen werden. Bei der neuen Konstruktion gibt es keinen Druckpunkt mehr. Man bewegt den Hammer bis unmittelbar vor die Saite mit einem leicht zunehmenden Druck. So spürt man die Taste permanent, unabhängig in welcher Position sie sich befindet. Dieser gleichmäßige Durchlauf ermöglicht eine exakte Tastenkontrolle und somit auch ein müheloses Variieren der Anschlagsstärke. Die Folge ist die perfekte Repetition“.

Prototyp

Nachdem ich den Prototyp ausprobiert habe, kann ich alles, was die Pianisten bereits gesagt haben, nur bestätigen. Hierfür wurde absichtlich kein Klavier mit besonders schönem Klang ausgewählt, sodass dem Spielenden nicht zu viel „geschenkt“ wird. Man muss sich kurz daran gewöhnen, denn die Mechanik fühlt sehr direkt, weshalb vieles wie von selbst zu gehen scheint. Da ist ein sehr enger Kontakt zum Klang, wodurch die Töne quasi von selbst kommen, ganz direkt realisiert, wie es sich auch Josef Hofmann vorgestellt hat: Ohren und Augen in den Fingerspitzen. Eine unmittelbare Verbindung zwischen Vorstellung und Verwirklichung. Der Ton kommt immer, es ist auch ohne linkes Pedal sehr gut möglich, pianissimo zu spielen, auch in schnellem Tempo, die Repetition ist vorbildlich, und die doppelten Glissandos funktionieren mühelos. „Mit dieser Mechanik braucht man sich nicht mehr von Neuem an ein anderes Klavier zu gewöhnen“, sagt Tobehn.

Stromschnelle

Die Entwicklungen sind in rasches Fahrwasser geraten. Tobehn: „Wir arbeiten jetzt an einem Prototyp für einen Hersteller, der den Einsatz der Mechanik prüft. Das ist auch unser Ziel.“ Um den Bekanntheitsgrad seiner Erfindung zu erhöhen, will Tobehn mehrere Instrumente mit der neuen Technik ausstatten und an einigen Standorten zugänglich machen, sodass mehr Interessenten die Mechanik ausprobieren können. Die Regulierung der Mechanik ist komplett anders, vor allem aber einfacher und schneller, auf keinen Fall schwieriger. Sie ist 100 Prozent zuverlässig.

Von Tobehn sind noch mehr Innovationen zu erwarten. „Auch in Flügeln funktioniert die neue Technik absolut zuverlässig. Da haben wir sogar noch mehr Einstellmöglichkeiten. Doch zunächst wollen wir die Repetitions-Mechanik für Klaviere im Markt einführen. Dann kommt noch ergänzend zu der neuen Mechanik auch eine stark verbesserte Dämpfung, und in Weiterführung davon ein vollkommen neues Silent-System. Ohne Stoppleiste, das haben wir auch schon getestet. Es gibt noch so viel im Klavier, das man auf den heutigen Stand der Technik bringen könnte. Es gibt eine Welt zu erobern mit smarten, neuen Konstruktionen und neuen Materialien, die nicht verschleißen, und die sich in der Bemaßung nicht verändern durch Luftfeuchtigkeit, Temperatur oder längeren Gebrauch. Holz hat viele Nachteile, selbst das schönste luftgetrocknete Holz kann sich irgendwann verändern, das ist normal. Aber wir wurden 100 Jahre auf die Aussage konditioniert, dass das Klavier perfekt wäre. Das glaube ich nicht, es könnte viel besser sein.“

ERIC SCHOONES