Perfekte Kontrolle

Eine neue Mechanik fürs Klavier

Sie kennen den größten Unterschied für sensible Klavierspieler zwischen Flügel und Klavier? Nun, es ist natürlich das Anschlagsgefühl. Warum dies so ist, weiß jeder, der sich einmal mit den unterschiedlichen Mechaniken der Instrumente vertraut gemacht hat. Geschichtlich gesehen, war das Klavier ein Umstand, der sich nach und nach entwickelte, als der Wohnraum enger wurde. Hatte man zuerst aufrechtstehende Flügel wie Pyramiden- oder Schrankflügel entwickelt, verkürzte sich der Rahmen nach und nach – das Klavier entwickelte sich. Doch die längliche, in einen Flügel eingebaute und mit dem einfachen Prinzip der Schwerkraft funktionierende Mechanik hatte für solche Instrumente keinen Nutzen mehr, da die Saiten ja nicht mehr lagen, sondern aufrecht im Klavier angebracht waren. Entsprechend musste die Mechanik nun die Kräfte umlenken, um das Anschlagen der Hämmer auf die vertikal angebrachten Saiten zu ermöglichen. Das Problem: Eine Doppelrepetition war nicht mehr gewährleistet. Das bedeutet bis heute bei Klavieren: Man muss die Taste eines Klaviers fast vollständig loslassen, um erneut anschlagen zu können. Immer wieder versuchten Produzenten mit eigenen Systemen mit Federmechanismen oder Magneten, diesem Umstand Herr zu werden. Doch nun hat der Klaviertechniker Edgar Tobehn aus dem schweizerischen St. Gallen eine neuartige Mechanik entwickelt, die es ermöglicht dem Klavier ein Spielgefühl zu geben, das weit besser ist als alles, was man bislang kannte – inklusive bei Flügeln.
Von: Carsten Dürer

Edgar Tobehn ist bereits lange ansässig in der Schweiz und hat schon viele kleine Details an Instrumenten verändert. Ihn stört schon lange, dass sich im Klavierbau kaum mehr Veränderungen und wirkliche Innovationen entwickeln, wie er sagt. Am Rande von St. Gallen hat er ein kleines Ladenlokal, in dem man vor allem Gebrauchtinstrumente vorfindet, aber fast ausschließlich hochwertige. Zwei Steinway-Flügel mit wundervollen Furnieroberflächen stehen bei unserem Besuch ebenso zum Angebot wie einige Instrumente von Schimmel. Neben dem recht engen Ladenlokal hat er seine Werkstatt, in der mittlerweile auch seine Söhne mitarbeiten. Als Klaviertechniker betreut Edgar Tobehn einen großen Kundenkreis mit allen Arten von Instrumenten. Und immer wie der kam ihm die allgemeine Meinung zu Ohren, dass es eine Schande sei, dass man an dem heimischen Klavier den Anschlag nicht richtig kontrollieren könne und ebenso die schnelle Repetition fehle.
Schon vor vielen Jahren, erklärt uns Tobehn, hat er sich also darangemacht und eine Mechanik er dacht, die diesen Umstand beheben sollte. „Ich habe damals einen Prototyp von einem Drechsler anfertigen lassen“, erzählt er, „natürlich war das noch nicht alles komplett durchdacht. Aber es funktionierte. Aber dann hat man wieder keine Zeit dafür, muss sich um das Tagesgeschäft kümmern. Und ich war es leid, dass ich hier und da immer nur eine halbe oder eine Stunde Zeit hatte, um mich mit den Feinheiten dieses Prototyps zu beschäftigen.“ Im vergangenen Jahr fiel ihm dieser Prototyp wieder in die Hände. Und da entschied er: Jetzt würde er das richtig mit Zeit angehen und diese Idee zu Ende entwickeln. „Es war klar, dass mich meine Söhne im Tagesgeschäft im Außendienst stärker unterstützen müssten, wenn ich mich darum kümmere. Und so kam es dann auch. Zudem kann einer meiner Söhne mit CAD-Systemen umgehen, und so haben wir dann erstmals ein computergestütztes Modell entwickelt.“
Danach ging alles recht schnell. Man bestellte bei einem Schweizer Unternehmen eine Kleinserie der neuen Mechanik und baute sie in ein neues Klavier der Marke Zimmermann aus dem Hause Bechstein ein. „Es war ein Instrument, bei dem ich erstaunt über die schlecht zu kontrollierende Mechanik war. Und so entschloss ich mich, gerade dieses Instrument zu nehmen, um meine neue Mechanik auszuprobieren, da ich der Meinung war: Wenn es in diesem Instrument den gewünschten Erfolg bringt, dann funktioniert es in jedem Instrument“, sagt Edgar Tobehn.
Nun steht es da, im ersten Moment recht unscheinbar. Ein Zimmermann-Klavier in der Höhe von 122 Zentimetern, dessen obere Front geöffnet ist, so dass man die Hammerstile und Hammerköpfe noch sehen kann. Ansonsten ein vollkommen normales Klavier, auf dessen Front allerdings nun äußerst präsent „KTT-Repetitions-Mechanik“ als Schriftzug prangt.

Das Spielgefühl

Direkt beim ersten Anschlagen der Klaviatur ist man erstaunt: Das Spielgefühl ist nicht nur ausgeglichen, sondern vor allem sehr leichtgängig, wie bei einem extrem leicht gewichteten Flügel. Aber das ist nur ein Detail, denn das Spielgewicht kann individuell gestaltet werden, wie Tobehn erklärt. Vielmehr ist es die Kontrolle, die erstaunt. Man kann ohne Anstrengung vom leisesten Pianissimo bis zum kraftvollen Fortissimo den Anschlag genauestens dosieren. Zudem ist das Repetieren wirklich bemerkenswert. Extrem schnell reagiert die Mechanik. Bei jeder Tastenstellung kann man problemlos wieder anschlagen. Zudem hat man das Gefühl, als würde man einen direkten Kontakt zum Hammer haben, so dass man immer die völlige Kontrolle behält. Das ist für ein Klavier bemerkenswert, aber es ist eigentlich noch besser als bei vielen Flügeln. Das haben Tobehn auch etliche der Pianisten, die dieses Instrument bereits angespielt haben, bestätigt. Natürlich hat Tobehn schon weitergedacht und ist bereits dabei eine ähnliche Mechanik auch für Flügel zu entwickeln.
Wenn man nach einem Druckpunkt sucht, wird man enttäuscht sein, denn es gibt keinen. Doch wer braucht schon einen Druckpunkt, wenn er die volle Kontrolle auch ohne hat?
Natürlich interessiert jeden, wie diese neue Mechanik denn funktioniert, doch bislang lüftet Edgar Tobehn das Geheimnis noch nicht, da er noch mit den Patent rechten zugange ist. Dennoch haben sich bereits Firmen mit dem Interesse an einer Lizensierung dieser Mechanik angemeldet.
Tobehn erklärt die Wirkungsweise in technischer Hinsicht so auf seiner Website:

„Es ist uns gelungen, eine permanente Verbindung der Stoßzunge mit der Hammernuss zu konstruieren. Durch die neue Konstruktion, bei der die Stoßzunge immer mit der Hammernuss verbunden ist und während des Anschlags auch bleibt, kann zu jeder Zeit und bei jeder Tastenstellung neu angeschlagen werden. Bei der bisherigen Konstruktion ist der Druck auf die Taste bis zur Auslösung (bei abgehobener Dämpfung) in etwa konstant. Dann spürt man über die Reibung der Stoßzunge einen Druckpunkt und unmittelbar nach der Auslösung wird der Druck weniger, weil die Stoßzunge nicht mehr unter die Hammernuss drückt. Diese beiden technischen Umstände sind der Grund, dass man den Anschlag zum Schluss nicht mehr kontrollieren kann. Bei der neuen Konstruktion nimmt der Druck der Taste (auch bei abgehobener Dämpfung) stetig ganz leicht zu. Einen Druckpunkt danach gibt es nicht mehr. So spürt man die Taste permanent, unabhängig in welcher Position. Dadurch ist eine exakte Kontrolle der Taste möglich und somit auch ein müheloses Variieren der Anschlagsstärke. Man spürt beim Drücken weder den Auslöse-Reibevorgang noch fällt der Tastendruck plötzlich ab.“

Das sollte erst einmal reichen, denn es erklärt zumindest, was passiert.

Piano-Pedal

Doch es gibt eine weitere Besonderheit an diesem Instrument: Das Piano-Pedal. Bislang ist das linke Pedal bei einem Klavier nicht gerade vollauf befriedigend. Denn was passiert, wenn man es betätigt? Nun, anders als bei einem Flügel, bei dem das sogenannte Una-Corda-Pedal ja eine Verschiebung der Mechanik hervorruft und eigentlich nur noch ein oder zwei Saiten des Saitenchores im Instrument angeschlagen werden sollen, ist bei einem Klavier das linke Pedal tatsächlich keines für die Veränderung einer Klangfarbe, sondern nur, um leiser zu spielen. Normalerweise erreicht man dies, indem ein Hebelmechanismus die Hammerleiste nach vorne kippt, näher zu den Saiten. Durch die Verkürzung des Wegs des Hammers zur Saite wird die Lautstärke reduziert, da weniger Druck ausgeübt werden kann. Tobehn: „Der Nachteil dabei ist, dass dabei die Position des Untergliedes nicht verändert wird und somit Spielraum zwischen Stoßzunge und Hammernuss entsteht. Das führt zu einer hohen Ungenauigkeit und macht ein normales Spielen unmöglich.“ Soll heißen: Das Spielgefühl verändert sich spürbar. Die Lösung von Tobehn ist da ganz anders: Wenn das Piano-Pedal betätigt wird, werden alle Mechanik-Komponenten nach oben verschoben und somit auch der Schub des Hammers verkürzt. Aber durch diese Abhebung gibt es kein Spiel zwischen Stoßzunge und Hammernuss. Man kann beim feinsten Piano immer noch auf dem untersten Millimeter Tief gang exakt repetieren und präzise anschlagen. Praktisch bedeutet dies: Betätigt man das linke Pedal, wird die Klaviatur spürbar abgesenkt, während zeitgleich die Mechanik angehoben wird. Das ist im ersten Moment ein wenig gewöhnungsbedürftig, denn natürlich verändert sich dadurch die Spieltiefe der Klaviatur. Dennoch ist die Kontrolle unverändert. Und ein Pianissimo-Spiel ist absolut fantastisch durchführbar. Dabei kann mit dem Treten des Pedals auch die Spieltiefe der Klaviatur und das Anheben der Mechanik stufenlos verändert werden. In Zusammenarbeit mit der neuen Mechanik in diesem Instrument ist das Ergebnis des Spielgefühls und der Kontrolle famos.

Nächste Schritte

Natürlich muss es nun zu den kommenden Schritten kommen, um diese Mechanik zu verbreiten. Wenn es interessierte Klavierbauunternehmen gibt, die eine Lizenz für diese Mechanik erwerben werden, ist dies sicherlich schnell verbreitet. Mittels der CAD-Zeichnung ist dann jeder Hersteller in der Lage diese Mechanik über eine CNC-Maschine herzustellen. Für Neuinstrumente ist es ohnehin kein Problem. Aber auch für gebrauchte Klaviere, die nicht allzu alt sind und eine der modernen Mechaniken verbaut haben, ist es leicht, diese Mechanik im Nachbau zu integrieren. Dazu will Tobehn diese Mechanik als Nachbausatz über einen Vertrieb den Klavierbauern zur Verfügung stellen. Zudem will er einen Lehrgang anbieten, wie diese Mechanik am besten einzubauen und zu justieren ist. Damit wäre dann jeder Klavierbesitzer in der Lage sein Instrument zu einem wunderbar spielbaren Werkzeug um zurüsten. Die genauen Preise sind dabei noch nicht kalkuliert. Was bestehen bleiben kann im Instrument ist in der Regel die Dämpferleiste, wenn diese noch in einem guten Zustand ist.
Einen weiteren Schritt will Tobehn gehen, in dem er seine Mechanik für Stummschaltungssysteme anpasst. Denn wenn man bei einem Stummschaltungsklavier die Stoppleiste betätigt, um das Anschlagen der Hammerköpfe auf die Saiten zu verhindern und über Kopfhörer das Digitalpiano spielt, erkennt man ebenfalls einen kleinen Unterschied im Anschlag. In der Regel werden die Hammerstile gestoppt, so dass das Spielgefühl in diesem Moment ungleich härter zu sein scheint, da das Fehlen der Flexibilität des Hammerstils und des Aufschlagens des befilzten Hammers auf die Saiten das Spielgefühl beeinflussen. Tobehn hat bereits Tests mit seiner Mechanik gemacht, die es ermöglicht, dass der Hammer direkt die Sensorleiste bespielt, was eine wirkliche Verbesserung des Anschlagsgefühls bringen könnte.

Sicherlich wird Tobehn, wo er nun einmal die reellen Grundlagen der Verarbeitung seiner KTT-Repetitions-Mechanik gelegt hat, nicht ruhen, diese immer noch ein bisschen weiterzuentwickeln. Aber nun geht es auch erst einmal darum, die Spieler zu überzeugen. Das dürfte allerdings recht leicht gehen, wenn sie erste einmal diese Mechanik in einem Klavier ausprobiert haben.