KOLUMNE: DAS KLAVIER
AUTOR: Jean-Pierre Frick

Flügelrepetition am Klavier: ein schwerer Fall endlich gelöst.

Der Hammer fällt nicht nur bei Gericht oder in Auktionen. Auch im klangvollen Flügel folgt die Mechanik den Gesetzen der Schwerkraft und der Hammer fällt nach dem Anschlag automatisch und ohne zusätzlichen Kraftaufwand in seine Ruheposition zurück.
Bei der letzten Generalversammlung des Schweizerischen Klavierbauerverbandes im April wurde eine neue Technik vorgestellt, die das gleiche Spielgefühl auf das Klavier überträgt.

Das Spiel auf dem Flügel ermöglicht – neben einem sehr differenzierbaren Anschlag – eine rasante Repetition, sprich Anschlagswiederholung, oder noch einfacher gesagt: Die Taste kann erneut betätigt werden, noch bevor der Hammer seine Ruheposition wieder erreicht hat. Schon allein deshalb sind gewisse Werke hochvirtuoser Komponisten wie Liszt, Rachmaninow, Beethoven, Ravel u.a. im Prinzip nur auf einem (guten!) Flügel reproduzierbar.

Das Problem des Flügels wiederum: Er braucht viel Platz, und in der Zeit der immer populäreren Hausmusik des 18. und 19. Jahrhunderts brachte man dem bisher „liegenden“ Flügel das viel raumsparendere Stehen bei. Das Klavier war geboren, mit allen Vor- und Nachteilen: Die Tastatur konnte nicht mehr die natürliche Hilfe der Schwerkraft nutzen, der Hammer fiel nicht von selbst zurück sondern brauchte mechanische Unterstützung, was (s.o.!) wieder die Leichtigkeit des Spiels beeinträchtigte. Man musste die Taste fast ganz loslassen, bevor man sie erneut anschlagen konnte, und die virtuos schnelle Repetitionsmöglichkeit war passé.

Doch all das ist jetzt Schnee von gestern. Denn der St. Galler Klavierbauer Edgar Tobehn forschte, experimentierte und konstruierte – ganz in der Tradition seines mechanisch so erfindungsreichen Heimatlandes – solange, bis er endlich seine neu entwickelte „KTT-Repetitions-Mechanik“ versuchsweise in ein Standard-Klavier (122 cm) eines renommierten Herstellers einbauen konnte. Mit einem umwerfenden und von Fachkreisen hoch bestaunten Ergebnis:

Das Spielgefühl ist ebenso ausgeglichen wie leichtgängig, ähnlich einem sehr leicht gewichteten Flügel. Aber das ist nur ein Aspekt. Hinzu kommt, dass der Anschlag höchst nuanciert gestaltet werden kann, vom leisesten Pianissimo bis zum kraftvollen Fortissimo. Zudem ist die Repetition wirklich verblüffend: Dank einer extrem schnell reagierenden Mechanik kann man bei jeder Tastenstellung problemlos erneut anschlagen. Zudem hat man das Gefühl, einen direkten Kontakt zum Hammer zu haben, so dass man immer die völlige dynamische Kontrolle behält. Das ist für ein Klavier mehr als nur bemerkenswert, da es die Anschlagsqualität eines Flügels sogar noch übertrifft – was auch etliche Pianisten, die dieses Instrument angespielt haben, bestätigen konnten.

Und wie funktioniert nun diese innovative Mechanik im Detail? So ganz lässt sich Edgar Tobehn verständlicherweise noch nicht in die Karten schauen. Eine grundsätzliche Erklärung findet sich aber auf seiner Homepage:

„Es ist uns gelungen, eine permanente Verbindung der Stoßzunge mit der Hammernuss zu konstruieren. Durch die neue Konstruktion, bei der die Stoßzunge immer mit der Hammernuss verbunden ist und während des Anschlags auch bleibt, kann zu jeder Zeit und bei jeder

Tastenstellung neu angeschlagen werden. Bei der neuen Konstruktion nimmt der Druck der Taste (auch bei abgehobener Dämpfung) stetig ganz leicht zu. Einen Druckpunkt danach gibt es nicht mehr. So spürt man die Taste permanent, unabhängig in welcher Position. Dadurch ist eine exakte Kontrolle der Taste möglich und somit auch ein müheloses Variieren der Anschlagsstärke. Man spürt beim Drücken weder den Auslöse-Reibevorgang noch fällt der Tastendruck plötzlich ab.“      Darüber hinaus hat Tobehn auch beim Pedalwerk innovativ Hand angelegt: Denn beim herkömmlichen Klavier gibt es das altbekannte Problem, dass sich beim Drücken des Piano-Pedals das Spielgefühl spürbar verändert. Auch hier geht der St. Gallener ganz neue Wege: Wenn man bei seiner konstruktiven Neuentwicklung das Piano-Pedal betätigt, werden alle Mechanik-Komponenten nach oben verschoben und somit auch der Schub des Hammers verkürzt. Aber durch diese Abhebung gibt es kein Spiel zwischen Stoßzunge und Hammernuss. Man kann beim feinsten Piano immer noch auf dem untersten Millimeter Tiefgang der Taste exakt repetieren und präzise anschlagen. So ist ein extrem facettenreiches Pianissimo-Spiel möglich und im

Zusammenwirken mit der neuen Repetitions-Mechanik ist das Erlebnis des Spielgefühls und der Kontrolle wirklich neu und faszinierend.

Wie aber geht es nun weiter? Natürlich hat Edgar Tobehn großes Interesse daran, sein bahnbrechendes Produkt erfolgreich zu vermarkten. Hier sind zwar schon einige Marketing- und Produktions-Konzepte angedacht, z.B. Lizenzvergabe, Ein- und Umbausätze, Adaption des Systems für stummschaltbare Klaviere etc. Aber bis zur abschließenden Patentausstellung ist hier noch Diskretion das Gebot der Stunde. Und bis dahin tüftelt Tobehn natürlich noch weiter…

Text: Jean-Pierre Frick